01.05.2023
225 Heimliche Gewinner in Rheinland-Pfalz
Dieser Text ist vom 01.05.2023 und könnte inhaltlich veraltet sein.
Forschungszentrum Mittelstand veröffentlicht aktualisierte Studie zu Hidden Champions
HIDDEN CHAMPIONS ZEICHNEN SICH UNTER ANDEREM DADURCH AUS, DASS DIE ENTSPRECHENDEN UNTERNEHMEN MIT EINEM NISCHEN-PRODUKT DEN WEG AN DIE SPITZE DES EUROPÄISCHEN ODER AUCH WELTWEITEN MARKTES GESCHAFFT
HABEN. 225 HIDDEN CHAMPIONS HAT DAS FORSCHUNGSZENTRUM MITTELSTAND DER UNIVERSITÄT TRIER IN SEINER GERADE VERÖFFENTLICHTEN STUDIE IN RHEINLAND-PFALZ AUSGEMACHT. BLICKPUNKT WIRTSCHAFT STELLT MIT BD ROWA, FELUWA GMBH UND GRACHER KREDIT- UND KAUTIONSMAKLER GMBH & CO. KG DREI UNTERNEHMEN EXEMPLARISCH VOR.
Hidden Champion, heimlicher Gewinner. Der Begriff ist in Wirtschaftskreisen in aller Munde, doch wo kommt er eigentlich her? Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Simon, der aus Hasborn in der Eifel stammt, ist Vater dieser Bezeichnung und hat sie 1990 geprägt. Der Gründer und Ehrenvorsitzende der Strategie- und Marketingberatung Simon-Kucher & Partners, emeritierte Wirtschaftsprofessor, Autor von mehr als 35 Büchern und weltweit gefragte Redner hat sich Anfang der 90er-Jahre intensiv mit der Frage beschäftigt, warum ausgerechnet die Deutschen eine so hohe Exportrate aufweisen. Im Ergebnis ist Simon zu der Erkenntnis gelangt, dass nicht die großen Unternehmen für den Exporterfolg Deutschlands verantwortlich sind, sondern die vielen marktführenden Mittelständler.
Die Eingrenzung zur Definition eines Hidden Champion hat Simon vergleichsweise überschaubar gehalten: Drei Merkmale zieht er dazu heran. So sind Hidden Champions in ihrem Markt auf ihrem Kontinent die Nummer eins oder zählen zu den Top drei in der Welt. Ihr Umsatz liegt unter fünf Milliarden Euro im Jahr. In der breiten Öffentlichkeit, außerhalb ihrer Branche, sind sie wenig bekannt. Auch von Analysten und Investoren werden sie eher nicht beobachtet, da sie in der Regel keine Aktiengesellschaften sind, und von Konzernen nicht, weil sie mit diesen vom Volumen her nicht im Wettbewerb stehen.
Das Thema Hidden Champions beschäftigt auch das Forschungszentrum Mittelstand (FZM) der Universität Trier. Nach einer im Mai 2021 veröffentlichten Studie hat sich das FZM zum zweiten Mal in einer Untersuchung dem Thema gewidmet. Die aktuelle Untersuchung knüpft an das vorangegangene Projekt „Hidden Champions in Rheinland-Pfalz: Identifikation, Erfolgsfaktoren, Herausforderungen“ an. Sie löst sich indes vom exklusiven Fokus auf die Hidden Champions und beschäftigt sich allgemeiner mit dem technologisch orientierten innovativen Mittelstand in seiner gesamten Breite. Zudem legt sie den Schwerpunkt auf Innovationskooperationen und -netzwerke.
Über die wissenschaftlichen Ergebnisse hinaus resultieren aus dem Projekt, das das rheinland-pfälzische Wirtschafts-Ministerium unterstützt hat, zwei Unternehmensübersichten. Die eine umfasst die patentaktiven mittelständischen Unternehmen in Rheinland-Pfalz. Die andere ist mit rund 100 hinzugekommenen Unternehmen eine aktualisierte Version der Hidden Champions-Liste von 2021. Vorrangig sind die Hidden Champions im Maschinenbau tätig und im Norden von Rheinland-Pfalz, vorneweg im Westerwaldkreis, angesiedelt. Beide Übersichten sind auf der Website www.mittelstandsatlas-rlp.de zu finden.
Die Übersichten weisen einen hohen Überschneidungsgrad auf, wie Prof. Dr. Jörn Block, Professor für Unternehmensführung an der Uni Trier und Sprecher der Forschungsstelle Mittelstand, informiert. „Viele Hidden Champions haben Patente angemeldet, sind auf beiden Listen zu finden.“ Während die Liste der patentaktiven Unternehmen durch das Kriterium der Patentanmeldung ab dem Jahr 2000 für Block „eine wissenschaftlich messbare Basis hat“, sei die Abgrenzung im Hinblick auf Hidden Champions nicht immer eindeutig.
„Wir haben beispielsweise ein sehr erfolgreiches Unternehmen neu in die Liste aufgenommen. Es steht zwar in einigen Geschäftssegmenten im Wettbewerb zu großen Konzernen wie ABB und Siemens, in einem seiner Geschäftsfelder jedoch nicht und hat hier europaweit die Marktführerschaft. Es ist also Hidden Champion in einem bestimmten Bereich beziehungsweise Geschäftsfeld seiner Unternehmung.“
Etwa 600 Vorschläge habe das FZM-Forschungsteam für die Hidden Champions-Liste geprüft. „Die Identifikation basiert auf einer ausführlichen Recherche von Daten, Webseiteninformationen und zahlreichen Wirtschaftsmedien sowie eines intensiven Austauschs mit den Industrie- und Handelskammern und Wirtschaftsförderungen des Landes Rheinland-Pfalz“, erläutert Block.
Auf den Bezirk der Industrie- und Handelskammer Trier entfallen 34 Hidden Champions. Einer von ihnen ist BD Rowa in Kelberg in der Vulkaneifel. Als Start-up in einer Garage in Kelberg nahm die Erfolgsgeschichte vor 27 Jahren ihren Lauf. Dabei ist Firmengründer Rolf Wagner – inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschieden – damals im beinahe wörtlichen Sinne zum richtigen Zeitpunkt auf den richtigen Zug aufgesprungen. Während einer Zugfahrt lernte Wagner ein Apotheker-Paar kennen, das ihm erzählte, wie aufwendig die Medikamentenverwahrung ist. Dies war die Geburtsstunde seiner Geschäftsidee, den Markt mit einem Kommissionier-Automaten, einem robotischen Warenlager für die Lagerung und Verwaltung von Medikamenten zu erobern. Das Ergebnis seiner durch ein Team unterstützten und patentierten Entwicklung ist der BD
Rowa™ Select, inzwischen vor 15 Jahren in zweiter Generation abgelöst durch den BD Rowa™ Vmax. Dabei steht der Name Rowa nicht für Rolf Wagner, wie man vermuten könnte, sondern für robotische Warenlager.
Mehr als 12.000 Anlagen – das heißt, die Automaten plus entsprechende Fördertechnik und Software – hat das Unternehmen bis heute weltweit ausgeliefert. Abnehmer sind Apotheken ebenso wie der pharmazeutische Großhandel und Tierärzte. „Es gibt sie mittlerweile in mehr als einer Milliarde Konfigurationen, in unterschiedlicher Länge, Höhe, Breite und Fördertechnik“, erläutert Geschäftsführer Dr. Torben Schüttfort. „Im Großhandel stehen durchaus schon mal acht je 15 Meter lange Automaten nebeneinander, die pro Anlage 60.000 Medikamente verwahren.“ 12 Arbeitsplätze wurden sogar in der Vatikan-Apotheke automatisiert. Gefertigt werden die Automaten im Werk in Kelberg. Die wichtigsten Komponenten kommen nach Auskunft Schüttforts zu 80 Prozent von Zulieferern aus einem Umkreis von 100 Kilometern.
Nicht allein in punkto Wertschöpfung, auch was den Nachhaltigkeitsaspekt betrifft, stehe das Produkt mit einer Laufzeit von etwa 20 Jahren sehr gut da. „Der allererste Rowa, den wir 1997 produziert haben, stand in einer Apotheke in Dresden, und den haben wir erst kürzlich abgebaut“, so Schüttfort.
Um mehr als 20 Prozent habe das Unternehmen, das vor acht Jahren vom weltweit viertgrößten Medizintechnik-Anbieter Becton Dickinson übernommen worden ist, seinen Umsatz im Automaten-Segment in den vergangenen zwei Jahren steigern können. Der Wettbewerb? „Es gibt ein paar größere Wettbewerber in Deutschland, Italien und Belgien, aber wir sehen uns mit 12.000 Anlagen als einen der Marktführer“, erklärt Schüttfort. Ein Ende des Wachstums scheint nicht in Sicht, im Gegenteil: Veränderte Rahmenbedingungen, etwa durch coronabedingte Personalausfälle und den Fachkräftemangel, bescherten der Automation eine stetig wichtigere Rolle. Schüttfort: „Weltweit gesehen, gibt es einen signifikanten Anteil an Ländern, in denen die Apotheken noch überhaupt nicht automatisiert sind, beispielsweise Japan oder Schweden.“
Was es seiner Einschätzung nach braucht, um es zum Hidden Champion zu bringen, der sie im Segment der Kommissionierautomation sind? „Fundamental ist ein gutes Produkt, eine sehr gute, kundennahe Lösung, die am Ende ein echtes Problem löst, den Product-Market Fit erreicht, und natürlich ein starkes Team, gute Mitarbeiter.“ Mit denen – 400 am Standort Kelberg, 700 insgesamt deutschlandweit im ursprünglichen Rowa-Betrieb – hat es das Unternehmen geschafft, auch mit zwei weiteren Standbeinen festen Boden unter die Füße zu bekommen und kontinuierlich zu wachsen. Mit dem Ziel, die Apotheken vor Ort so effizient wie möglich auszurüsten, sind sowohl die digitalen, interaktiven Kunden-Beratungsprodukte mit praktikablen Drag- und Drop-Lösungen als auch die hochentwickelten Systeme zur so genannten Verblisterung mehr als positiv auf dem Markt eingeschlagen und weisen ein starkes Wachstum auf. In der Verblisterung, ein Markt, auf dem sich das Unternehmen seit etwa fünf Jahren bewegt, sieht Schüttfort nicht weniger als die Zukunft der Medikamentenversorgung. Über vom Kelberger Unternehmen gelieferte Technik und Schnittstellen zu den gängigen Warenwirtschaften können digital eingegangene Patientenrezepte geprüft, verarbeitet und die entsprechenden Medikamente in kleinen Tüten verpackt und mit persönlichen Daten wie auch der exakten Einnahmezeit des Medikaments abgegeben werden. „Das automatische Sortieren und Verpacken der Medikamente spart beispielsweise in Altenheimen und Krankenhäusern unglaublich viel Personal- und Zeitressourcen und wird zunehmend attraktiver“, sagt Schüttfort.
Gefragt nach der Einschätzung hinsichtlich der Zukunft des Unternehmens, das inzwischen nicht weniger als 80 angemeldete Patente zählt, antwortet der Geschäftsführer uneingeschränkt optimistisch: „Wir haben ein starkes Produkt-Portfolio, eine sehr gute Mannschaft und noch viele Ideen.“ Die Zugehörigkeit zu einem börsennotierten Konzern sieht er durchweg als Chance: „Wir haben unsere Start-up-DNA, sind super-innovativ unterwegs. Gleichzeitig können wir auf das back-up des Konzerns zurückgreifen. Somit vereinen wir das Beste aus zwei Welten, können Synergieeffekte nutzen.“
Zugehörig zu einer großen internationalen Gruppe ist auch der Eifeler Hidden Champion im Bereich Industriepumpen, die FELUWA Pumpen GmbH. Das in Mürlenbach in der Vulkaneifel ansässige Unternehmen ist seit dem Jahr 2000 Mitglied der ARCA Flow Gruppe. Zu ihr zählt neben FELUWA die ARCA Regler GmbH, die ihrerseits technologischer Marktführer in der industriellen Prozessregelung ist. Dabei ist die FELUWA Pumpen GmbH mit ihren mehr als 150 Mitarbeitern wirtschaftlich komplett eigenständig. Die Produktion der Pumpen läuft ausschließlich am Standort Mürlenbach.
Pumpen, „die so sonst keiner macht“, wie es FZM-Sprecher Block formuliert. Mit ihnen hat das Unternehmen eine echte Nische besetzt, in den zurückliegenden 20 Jahren mehrere Patente angemeldet und es zum Hidden Champion, unter die ersten drei weltweit, gebracht.
MULTISAFE® ist der Name des Erfolgsprodukts, hinter dessen Entwicklung maßgeblich der Ingenieur und frühere Geschäftsführer, der inzwischen 78-jährige Heinz Nägel steckt. „Damit hat er FELUWA im Jahr 2000 aus der Insolvenz auf die Erfolgsschiene zurückgesetzt“, sagt Ralf Scherer, Sprecher der Geschäftsführung. Seit den 60er-Jahren, den Unternehmensanfängen am Standort Mürlenbach, habe man sich auf die Produktion so genannter Verdrängerpumpen konzentriert. „Der Durchbruch ist uns jedoch erst mit der MULTISAFE® gelungen, eine Doppel-Schlauchmembranpumpe als konsequente Weiterentwicklung der Kolbenmembranpumpe“, so Scherer. „Das war ein riesiger Schritt, der dazu geführt hat, dass wir uns seit 2000 hinsichtlich der Personalstärke verdreifacht und beim Umsatz versechsfacht haben.“ In mehr als 70 Länder exportiert das Unternehmen inzwischen die Pumpe.
„Sie kommt überall da zum Einsatz, wo abrasive, chemische und toxische Fluide gefördert werden. Die Pumpen sind hermetisch dicht, geeignet für einen hohen Feststoffanteil sowie hohe Fördertemperaturen“, erläutert Scherer. Das Grundprinzip der Pumpe sei immer gleich, der Aufbau modular. „Dabei reichen die Ausmaße vom Schuhkarton bis zum Einfamilienhaus.“
Den deutlichen Vorsprung auch vor großen Wettbewerbern beschreibt der Geschäftsführer so: „Unsere Technologie ist einzigartig, ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Es gibt ähnliche Pumpen mit einer Flachmembran, aber keine zweite mit einer Doppel-Schlauchmembran. Darüber hinaus zeichnet uns die Vielzahl an Varianten, unsere Bandbreite aus. Mit Förderoptionen von zehn bis zu 1000 Kubikmetern pro Stunde haben wir das breiteste Produkt-Portfolio und können verschiedene Markt-Segmente bedienen.“
Der größte Absatzmarkt liege im Bergbau, gefolgt von den Bereichen Chemie und Energie. „Gerade der Energiebereich verspricht für uns angesichts der aktuellen Diskussion um alternative Stromversorgung weltweit ein großes Potenzial.“ Wichtig sei, „konsequent im Markt vertreten zu sein und den Markt zu bearbeiten“. Vertriebspartner vor Ort leisteten zu diesem Zweck in vielen Ländern wertvolle Unterstützung. „So haben wir uns in den zurückliegenden vier bis fünf Jahren den Chemiebereich sehr vorgenommen, haben uns Märkte in Südafrika und Mozambik erschlossen, erleben einen Boom in Indien, wo wir mehr und mehr in Großprojekte reinkommen, und sehen eine gute Marktentwicklung in China.“
Auf die Frage, wie es FELUWA zum Hidden Champion geschafft hat und den aktuell global schwierigen Rahmenbedingungen trotzt, sagt der Geschäftsführer: „Sich auf das zu konzentrieren, was man gut kann, ist sicher ein wesentlicher Punkt. Wir haben eine einzigartige Technologie und sind ein flexibles, mittelständisches Unternehmen mit kurzen Entscheidungswegen, das sehr schnell und individuell auf die Bedürfnisse der Kunden und Märkte eingehen kann. Krisen erwischen uns nicht in vollem Umfang, weil wir in verschiedenen Bereichen breit aufgestellt sind.“
Die Positionierung als Hidden Champion nutzt FELUWA gezielt beim Werben um neue Mitarbeiter, etwa auf der Website, unter dem Menüpunkt „Stellenangebote“. „Es hilft dabei, als technologisch sehr interessantes Unternehmen wahrgenommen zu werden“, ist Scherer überzeugt. Eine Überzeugung, die sich mit der von FZM-Sprecher Prof. Dr. Jörn Block deckt: „Innerhalb seiner Branche muss ein Hidden Champion nicht dafür werben, das kann als bekannt vorausgesetzt werden. Es geht um die Sichtbarkeit gegenüber den Fachkräften.“
Auch Alfons-Maria Gracher, Gründer und Geschäftsführer der Gracher Kredit- und Kautionsmakler GmbH & Co. KG mit Hauptsitz in Trier, wird die Neu-Positionierung seines Unternehmens als Hidden Champion ganz sicher entsprechend kommunizieren, wie er sagt. Anders als BD Rowa und FELUWA GmbH, die beide bereits auf der Vorgänger-Liste des FZM sowie auf von Hermann Simon erstellten Hidden Champion-Listen zu finden sind, taucht der Firmenname des 56-jährigen Trierers zum ersten Mal auf einer Hidden Champions-Liste auf.
„Das ist schon eine Auszeichnung, auf die wir stolz sind“, sagt Gracher. „Ich empfinde es als Anerkennung meines Lebenswerks und Bestätigung der herausragenden Arbeit unseres gesamten Teams.“ Das Unternehmen hatte sich selbst für die Liste ins Spiel gebracht, was nach Auskunft von FZM-Sprecher Block erwünscht ist. „Wir haben das geprüft wie bei allen übrigen Unternehmen, auch wenn Gracher von der Branche her auf den ersten Blick für uns nicht der klassische Kandidat ist. Es ist gewissermaßen ein Grenzfall, da das Unternehmen in seiner Tätigkeit im Wettbewerb zu den großen Versicherungsmaklern steht und die Markt-Abgrenzung nicht ganz leicht ist.“
Hidden Champion ist das Unternehmen nach Unterstreichung durch Alfons-Maria Gracher im Bereich Bürgschaften/Kautionsversicherungen. Ein Geschäftsfeld, mit dem er im August 2000 den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hat und seither als Mittler zwischen den Unternehmen auf der einen und den Versicherungen auf der anderen Seite fungiert. Für seine Mandanten eruiert das Unternehmen, wo diese mit möglichst geringen Sicherheiten die günstigste Prämie erhalten. Dabei ist das Kapital der Gracher-Unternehmung ihre riesige Datenbank, die sie sich über die Jahre aufgebaut hat.
1999 ist der gelernte Bankkaufmann und Versicherungskaufmann und studierte Diplom-Kaufmann nach eigener Beschreibung als Mitarbeiter beim Versicherungsmakler GENIUS in Trier zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen. Fasziniert habe es ihn von Anfang an, da die Herangehensweise der Versicherungsgesellschaften so anders sei als die der Banken. Und dass dieses Produkt – das Gracher inzwischen vorrangig an Kunden aus dem Maschinen- und Anlagenbau, dem Baubereich, der technischen Gebäudeausrüstung, dem Energiesektor, der Reisebranche und Private Equity-Bereich vertreibt – in Zukunft immer stärker gefragt sein würde, sei ihm auch schnell klar gewesen. Eine Einschätzung, mit der Gracher Recht behalten sollte und die ihn mit der Entwicklung seines Unternehmens schließlich nach oben katapultierte. Auch wenn er den Weg dahin als zwischenzeitlich durchaus steinig, als „Echternacher Springprozession“ beschreibt: „Zwei Schritte vor, einer zurück. Früher war es so, dass von vier meiner Ideen nur eine geflogen ist.“ Heute funktionierten drei von vier Ideen.
„Im Neugeschäft sind wir Deutschlands größter Kautionsdienstleister mit einem Markt-Anteil von 50 Prozent. In Europa stehen wir schätzungsweise auf Platz eins, auch wenn es dazu keine Erhebungen gibt“, sagt Gracher. 85 Prozent seines Gesamtumsatzes mache inzwischen das Kautionsgeschäft aus. Jeweils 14 Millionen Euro Neu-Prämie habe das Unternehmen allein in diesem Bereich in den Jahren 2021 und 2022 gemacht. 500 Abschlüsse seien 2022 getätigt worden.
Das Erfolgsrezept? Die Hartnäckigkeit, mit der man sich in das Thema reingefuchst und den Markt für sich erobert habe, nennt Gracher als wesentlichen Aspekt. „Es gibt keine großen Mitbewerber, die anderen Anbieter haben den Zug verpasst. Vor allem haben die, die auf dem Markt existieren, viel zu wenige Mitarbeiter und kein Know-how in diesem Bereich. Wir beschäftigen allein 60 Frauen und Männer im Bereich Bürgschaften und greifen auf 27 Versicherer allein europaweit zurück. Die meisten kennen nur sieben.“
Einen riesigen Vorsprung habe sich das Unternehmen darüber hinaus durch kontinuierlich große Investitionen in Software-Entwicklung und entsprechende Manpower gesichert. „Wir haben über sieben Jahre gemeinsam mit Kunden eine eigene Bürgschaftsverwaltungs-Software entwickelt, die es auf dem Markt bis dahin nicht gab.“ Bis auf einen Kreditversicherer seien alle daran angeschlossen.
Mit „Bürgschaft.jetzt“ hat das Unternehmen ein einzigartiges gewerbliches Portal entwickelt und vor wenigen Wochen online gebracht, über das innerhalb von zwei Minuten ein Kautionskreditvertrag bis zu einer Millionen Euro pro Versicherer abgeschlossen werden kann – inklusive im Hintergrund laufender Bonitätsprüfung.
Mit der Entscheidung von vor vier Jahren, künftig stärker einen „360-Grad-Ansatz“ – wie das Unternehmen es nennt – zu verfolgen und sich entsprechend auszurichten, bewegt sich der Hidden Champion aus seiner ursprünglichen Nische in die Breite. So expandiert das inzwischen rund 80 Mitarbeiter zählende Unternehmen mit Niederlassungen in Frankfurt, Sofia, Wien, Amsterdam und London auch stark in den Bereichen Factoring, Warenkreditversicherung und Debt Advisory. Für den Unternehmer bedeutet dies die große Chance, parallel unterschiedliche Ansatzpunkte für Geschäfte zu nutzen. „Für den Kunden heißt das, dass er alles aus einer Hand bekommt.“