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15.04.1999

Frischer Wind im alten Landhaus


Dieser Text ist vom 15.04.1999 und könnte inhaltlich veraltet sein.

Fernsehkoch aus Naurath/Wald: Amuse gueule auch für die Kleinsten

Harald Rüssel entspricht zweifelsohne dem vielzitierten Klischee „jung, dynamisch, erfolgreich“. Gerade einmal 32 Jahre alt, ist er mit seinem 1992 eröffneten „Landhaus St. Urban“ in Naurath bei Trier Küchenchef und Besitzer eines der 100 besten Restaurants Deutschlands der Capital-Hitliste. Neben anderen Fachpresse-Organen ehrt der Guide Michelin das Haus mit einem Stern, der Aral Schlemmeratlas mit drei Eßbestecken, und der gerade neu erschienene Gault Millau belohnt die Leistungen des außergewöhnlichen Gastronomen mit 16 von 20 Punkten.
br> Den verschiedenen Handwerksbetrieben heizte Harald Rüssel während der Umbauarbeiten des ehemaligen Ausflugslokals 1992 ordentlich ein. Schließlich „brannte“ ihm ein wichtiges Datum „unter den Nägeln“: Die Hochzeit mit Ruth Weis, Tochter des Weingutbesitzers vom St. Urbans-Hof in Leiwen, sollte im August 1992 das erste Fest im neuerworbenen und komplett umgestalteten Haus sein. Zwei Monate später eröffnete Ehepaar Rüssel das Feinschmecker-Restaurant samt angegliederten zehn Doppelzimmern.
br> Der Schritt dorthin war die konsequente Fortschreibung der Lebensläufe der Restaurantfachfrau und Sommelière und des Küchenchefs. Sein Rüstzeug beschaffte sich Rüssel als Kochlehrling im „Romantikhotel Burgkeller“ in Stolberg bei Aachen. Es folgten Stationen im „La Bécasse“ in Aachen, in „ La Bonne Auberge“ im französischen Antibes, in der Grevenbroicher „Traube“ und in den „Schweizer Stuben“ in Wertheim. Dort traf der aufstrebende Koch seine heutige Frau, die nach Stationen in der „ Traube Tonbach“ zu Baiersbronn als Commis-Sommelière in Wertheim arbeitete. Nach Jahren eifrigen Erfahrungensammelns war den beiden klar: „Wir wollten nicht immer bloß in der zweiten Reihe stehen.“
br> Hinter der Brücke die Welt vergessen
br> Als eine Verwandte von dem freiwerdenden Anwesen in dem Seitental der Dhron berichtete, machten sich die (heutigen) Rüssels nach Naurath auf. „Meine Frau und ich haben uns auf den ersten Blick in dieses Fleckchen verliebt. Was den Standort so besonders macht, ist das Erlebnis, über die Brücke zu fahren und ein bißchen die Welt hinter sich lassen zu können.“ Die Begeisterung ist bis heute geblieben; Ruth und Harald Rüssel sind überzeugtere Gastronomen denn je. Auch, wenn ihnen der Erfolg nicht in den Schoß gefallen ist.
br> „Zu Anfang überschlug sich hier alles“, erinnert sich Harald Rüssel. „Die geplante Hochzeit, der Erwerb des Restaurants und die folgenden achtmonatigen Renovierungsarbeiten, der Start ins Ungewisse. In den ersten drei Monaten war das Restaurant ‘rappelvoll’, darauf folgte eine Durststrecke.“ Neben dem Aufbau ihres guten Namens, auch über die regionalen Grenzen hinaus, mußten die beiden „Jungunternehmer“ lernen, ihren Namen zu vermarkten. „Plötzlich mußten wir uns auch um Werbemaßnahmen wie etwa Mailings kümmern“, so Rüssel.
br> Mehr als jede gezielte Werbemaßnahme halfen dem Haus jedoch Veröffentlichungen ganz anderer Art. Bereits im ersten Jahr seiner Selbständigkeit kürte der Gault Millau den agilen Rheinländer als „Entdeckung des Jahres“ und gab ihm 16 von 20 Punkten. Das Magazin „Der Feinschmecker“ verlieh ihm den Titel „ Aufsteiger des Jahres“, und der Guide Michelin rückte zum ersten Mal einen Stern für das Restaurant heraus.
br> Bodenständig soll es bleiben
br> Sich auf den Lorbeeren auszuruhen, ist indes nicht Harald Rüssels Sache. Die nach eigener Beschreibung anfänglich „ gehoben bürgerliche Küche“ hat er konsequent zu einer „ ländlich-mediterranen“ entwickelt. Statt Kaviar oder Entenbrust steht bei ihm etwa geschmorter Kalbsschwanz auf Kartoffel-Lauchgemüse auf der liebevoll von Hand geschriebenen Karte. Er liebt das Bodenständige in der Küche, möchte „gehoben, aber nicht abgehoben“ kochen. Seine Produkte sind durchweg frisch. Er betont, keinerlei künstliche Zusätze oder Aromastoffe zu verwenden. Seine Spezialität sind Fischgerichte, auch diese bevorzugt auf mediterrane Weise zubereitet.
br> Rüssel ist Perfektionist bis ins Detail. So servieren seine Restaurantfachkräfte selbstverständlich auch den jüngsten Gästen ein Amuse gueule, und auf Wunsch gibt es für diese Besucher auch Schnitzel und Pommes. Das Brot backt er jeden Morgen selbst, fertig geliefertes Baguette betrachtet Rüssel schlichtweg als Fauxpas. Auch die Pralinen und Torten, die die Gäste zum Dessert wählen können, stammen aus eigener Herstellung. Für all seine Kreationen gilt: „Es muß lecker sein, das Wort lecker ist für mich ganz wichtig“, beschreibt der Küchenchef. „ Ich möchte meine Gäste im Herzen und im Bauch treffen.“
br> Ebensosehr wie die Speisen liegen Harald Rüssel die dazu passenden Weine am Herzen. Rund 380 Positionen bietet die Weinkarte. „Dabei liegt unser Schwerpunkt mit etwa 150 Weinen auf Mosel-Saar-Ruwer.“ Einen Joker hat Rüssel mit seiner Ehefrau gezogen, die als ausgebildete Sommelière allabendlich die Gäste berät.
br> Ehrliche Arbeit abliefern
br> Was die Qualität seiner Küche angeht, ist Rüssel überaus zufrieden. „Ich möchte ehrliche Arbeit abliefern, bei der das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. In diesem Punkt bin ich da, wo ich immer hin wollte.“
br> Gleichermaßen glücklich macht ihn die Arbeit in „ seinem Team“: Drei Köche sowie zwei Koch-Auszubildende arbeiten mit ihm zusammen. „Es macht mir ungeheuren Spaß, etwas von meinem Wissen abzugeben und zu beobachten, wie sich die jungen Köche entwickeln. Außerdem weiß ich natürlich durch eigene Erfahrung, wie wichtig es ist, einen Mentoren zu haben.“
br> Langfristig kann sich der Küchenchef vorstellen, einen seiner Köche so einzuarbeiten, daß er Rüssel eines Tages ganz vertritt. „Das letzte Abschmecken und Verfeinern möchte ich mir allerdings vorbehalten.“ Zu seinem Team gehören auch drei ausgelernte Restaurantfachkräfte sowie zwei Auszubildende, die allesamt sein Restaurant widerspiegeln. „Ich freue mich, wenn meine Mitarbeiter gut ankommen.“ Auf den Kontakt mit seinen Gästen verzichtet der Küchenchef nicht. Nach wie vor läßt er sich nach dem Essen bei den Gästen blicken und vergewissert sich, daß diese zufrieden waren. Außerdem weiß der 32jährige: „auch wenn an einem Abend sehr wenig los ist, suche ich das Gespräch mit unseren Besuchern. Ich bin ein Gastwirtskind, für mich ist dieser Kontakt unverzichtbarer Teil meiner Arbeit.“
br> Neuerdings auch Fernsehkoch
br> Seit Anfang dieses Jahres flimmert der zweifache Familienvater zudem einmal wöchentlich über die Mattscheibe. Im dritten Programm zaubert er in der Sendung „Einfach köstlich. Kochen mit Harald Rüssel“ für jedermann ein Mehrgang-Menue auf den Abendbrottisch. Ein Experiment, dem sich der aufgeschlossene und zielstrebige Küchenchef gerne stellt. Auch wenn er erklärt: „ Man hat mir diese Aufgabe angetragen, und ich habe sie neugierig angenommen. Deswegen werde ich trotzdem nicht zu einem neuen Dauer-Fernseh-Koch mutieren. Ohne meinen festen Platz in der Küche könnte ich gar nicht leben.
br> Susanne Windfuhr

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