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01.05.2005

Job und Familie: kein Kinderspiel


Dieser Text ist vom 01.05.2005 und könnte inhaltlich veraltet sein.

Bundesweite Umfrage des DIHK bei Kindertagesstätten belegt: Viele Stolpersteine behindern berufstätige Eltern – Gute Ansätze in der Region

Eine eilig einberufene Konferenz nach Dienstschluss, plötzlich anfallende Überstunden, ein Kundengespräch, das mehr Zeit als erwartet beansprucht – dabei stets der bange Blick auf die Uhr, die keinen Zweifel aufkommen lässt: Der Kindergarten schließt, Tochter oder Sohn warten bestimmt schon sehnsüchtig auf Mama oder Papa. Berufstätige Eltern können ein Lied singen von solchen Szenarien. Sie kennen den Druck, der entsteht, im Grunde immer an zwei Orten gleichzeitig sein zu müssen. Dass es tatsächlich kein Kinderspiel ist, Familie und Job unter einen Hut zu bringen, belegt die aktuelle Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Deren Ergebnis lässt aufhorchen: Die Kinder-Betreuungseinrichtungen in Deutschland sind nur unzureichend auf die Bedürfnisse berufstätiger Eltern ausgerichtet.
Bundesweit hatten sich rund 1700 Kindertagesstätten (Kitas) unter der Überschrift „Zukunftsfaktor Kinderbetreuung“ auf „Herz und Nieren“ prüfen lassen. In dem Fragebogen wurden die Einrichtungen auf Angebot und Leistungen – Öffnungszeiten und besondere Betreuungsangebote – abgeklopft. Nach Ansicht des DIHK ist die Bilanz umso alarmierender, da die Erhebung auf freiwilliger Teilnahme basiert habe. Tendenziell hätten Kindertagesstätten geantwortet, die sich selber eher als attraktiv einstufen, im Regelfall sei die Situation also noch wesentlich schlechter.

FLEXIBILITÄT EIN FREMDWORT
Zwar zeugt das Umfrage-Ergebnis auch von guten Ansätzen. Das Angebot morgens und mittags kann sich zum Beispiel durchaus sehen lassen. Immerhin 70 Prozent der befragten Kindergärten öffnen vor 7:30 Uhr, und sogar fast 90 Prozent dehnen ihr Betreuungsangebot über Mittag aus. Am Abend dagegen zeigt sich ein eher düsteres Bild: Nur fünf Prozent der Einrichtungen sind auch nach 18 Uhr geöffnet. Und an Samstagen bieten lediglich 1,3 Prozent eine Betreuung an.
„Mehr Freiraum für Beruf und Familie, mehr Freiräume bei den Öffnungszeiten“ fordert daher Ludwig Georg Braun. Aus Sicht des DIHK-Präsidenten hinkt die Betreuung der Entwicklung der „ zunehmend flexiblen Arbeitswelt oft meilenweit hinterher.“ Die Kinderbetreuung müsse unbedingt an die Lebenswirklichkeit der Eltern angepasst werden. Geschehe dies nicht, provoziere man „ gestresste Eltern und Konflikte in den Betrieben, weil die Öffnungszeiten der Kitas den Rhythmus diktieren.“ Braun: „Wir brauchen vor Ort ein stärker integratives Denken, das die verschiedenen Akteure – Eltern, Kitas, Kommunen und Unternehmen – mit einbindet.“ Ansatzpunkte zur Verbesserung seien intelligente Lösungen wie zum Beispiel Freiräume in der Zeitgestaltung und funktionierende Märkte für familienrelevante Dienstleistungen.

FAMILIENFREUNDLICHKEIT ALS ZIEL
Freiräume für Beruf und Familie schaffen – ein Ziel, das im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gerne gehört wird. Mit dem im Januar 2005 in Kraft getretenen Ausbaugesetz zur Tagesbetreuung will die Bundesregierung das Angebot an guter Betreuung für unter Dreijährige bis 2010 auf westeuropäisches Niveau – und somit bedarfsgerecht anheben. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt hat sowohl in Fernseh- als auch in Zeitungsinterviews die „Impulse aus der Wirtschaft“ begrüßt. Der Kita-Check des DIHK sei, so Schmidt, ein wichtiger Schritt, die Bedeutung flexibler Angebote zur Kinderbetreuung zu betonen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sei ein aktiver Partner in der eigens ins Leben gerufenen „Allianz für die Familie“ und setze sich für eine Zukunft mit mehr Kindern ein. Mit der Forderung „Deutschland soll das familienfreundlichste Land Europas werden“ unterstütze der DIHK die programmatische Zielvorstellung des Ministeriums.

DER WEG IST WEIT
Dass es bis dahin ein weiter Weg ist, untermauert ein Blick auf die schriftliche Umfrage des DIHK, die 1700 Kindertagesstätten beantwortet haben. Neben den Knackpunkten „ mangelnde Abendbetreuung“ und „Samstag-Kita Fehlanzeige“ (nur ein Prozent halten ein derartiges Angebot vor), gibt es häufig in den Schulferien ein Problem für arbeitende Eltern. Etwa 60 Prozent der Kindertagesstätten sind ganz oder teilweise geschlossen, lediglich 55 Prozent bieten Alternativen an. Meist geht es nicht ohne Klimmzüge, sprich privates Engagement, die Ferienzeit zu überbrücken. Nur knapp ein Drittel der Einrichtungen bietet individuell vereinbarte Betreuungskontingente an, nur jede zehnte Kindertagesstätte hält Belegplätze für Unternehmen bereit. Deutlich wurde auch, dass Sprachförderung bei Kindern mit Migrationshintergrund nicht selbstverständlich ist.

ANPASSUNG AN ARBEITSWELT
Für den DIHK ist das Umfrage-Ergebnis ein Ansatzpunkt, umzudenken: „Kinderbetreuung muss mit Erwerbstätigkeit vereinbart und an Erwerbsrealitäten angepasst werden“, heißt es. Also: Abkehr von Schließzeiten über Mittag, Schichtdienste und Samstagarbeit berücksichtigen. Sehr wichtig sei aber auch, Netzwerke auszubauen. Schließlich könnten Kindertagesstätten nicht für jede Situation eine Lösung anbieten. Familiennahe Dienstleistungen wie die Tagespflege könnten die Betreuungsinfrastruktur vervollständigen.
Doch es gibt auch Kindertagesstätten, die mit gutem Beispiel vorangehend auf den Bedarf und die Wünsche der Eltern reagieren. Einen interessanten Weg, flexibel zu sein, beschreitet zum Beispiel das Morbacher Kinderhaus „Mandala“ der „Lernen und Arbeiten gGmbH“. Es steht Kindern im Krabbelalter unter drei Jahren ebenso offen wie dem Schulkind. Erfüllt werden die Kriterien: Mittagsbetreuung, Öffnung während der Ferienzeiten, geöffnet vor 7:30 und nach 18 Uhr, Frühstück, Mittagessen, Abendessen, individuelle Abrechnung der Betreuungszeiten, Belegplätze für Unternehmen, integrative Gruppen. Die pädagogische Leiterin Michaela Schuh erklärt die Hintergründe: „ Wir arbeiten in einem Projekt, das auf Initiative des Sozialamtes zustande kam. Neben unserem qualifizierten Fachpersonal arbeiten bei uns auch Arbeitslose. Es sind vornehmlich Alleinerziehende, die bei uns unter fachlicher Anleitung eine Aufgabe finden.“ „ Mandala“ stellt aus Sicht von Michaela Schuh keine Konkurrenz zu bestehenden Einrichtungen dar, sondern versteht sich als Ergänzung. „Es sind nur zwei Gehminuten zum herkömmlichen Kindergarten und zur Grundschule. So ist ein Dreieck entstanden mit einem tollen Angebot für Eltern und ihre Kinder.“ Während der Kindergarten ganz klar wichtige Akzente setze, Kinder auf die Schule vorzubereiten, liege der Schwerpunkt im Kinderhaus darauf, dass die Eltern ihre Kinder auch bei Überstunden oder in den Ferien gut versorgt wissen. „Es ist nicht unsere Aufgabe, dem Kind nochmals ein Programm aufzudrücken, es muss nicht unbedingt bei uns noch den nächsten Buchstaben lernen. Wir setzen Impulse, dass die Kinder erzählen und spielen können. Eine Hausaufgabenbetreuung gibt es auch“, erzählt Michaela Schuh. Wichtig sei auch die Kooperation mit dem Altenheim, dort wird zum Beispiel das Essen für die Kinder gekocht. Das Konzept sei eine pädagogische Herausforderung, aber „es klappt sehr gut und bietet Eltern mit Problemen eine wirkliche Hilfe.“

JÄHRLICHE ERHEBUNG IST PFLICHT
Doch natürlich bedeutet ein fehlendes Kreuz in der Spalte „ Ja“ im Fragebogen des DIHK nicht zwangsläufig, dass in diesem Ort Kinder vor der Tür stehen. Zum Beispiel hat der Kindergarten St. Marien in Saarburg-Beurig nicht nach 18 Uhr geöffnet. „Trotzdem würde ich behaupten, dass wir ein großes Angebot an Öffnungszeiten vorhalten“, sagt Leiterin Mechthild Kohl. Das Angebot sei auf den Bedarf zugeschnitten. Kohl: „Mit Hilfe von Elternumfragen klären wir in jedem Jahr den Bedarf ab. Es ist wirklich gut, diese Erhebungen zu machen.“ Zwar könne man nicht jeden Einzelwunsch erfüllen, aber Bedarfsgruppen einrichten. Im Fall Saarburg-Beurig bedeutet das: St. Marien war „einer der ersten Kindergärten, die eine Tagesbetreuung über Mittag angeboten haben.“ Den Wünschen der Eltern entsprechend ist der Kindergarten bereits ab 7:15 Uhr geöffnet und bietet einen Spätdienst für Berufstätige. Nicht zuletzt wegen der Nähe zur französischen Garnison gibt es in St. Marien die Chance für die Kleinen, Französisch zu lernen. „Seit einigen Jahren haben wir eine französische Mitarbeiterin. Das läuft sehr gut“, weiß Mechthild Kohl.
Regelmäßige Bedarfsumfragen sind auch im Katholischen Kindergarten „Liebfrauen“ in Bitburg „ein gutes Instrument, auf die Nachfrage flexibel zu reagieren.“ Vor zwei Jahren hatte der Kindergarten bereits ab 7:15 Uhr geöffnet. Da das Angebot aber nicht in Anspruch genommen wurde, entschied man sich für eine spätere Öffnungszeit. Nicht zuletzt, um das Personal effektiver einsetzen zu können. „Auf Grund einer solchen Umfrage haben wir zum Beispiel 20 Ganztagsplätze eingerichtet“, erzählt Simone Lehnertz, die stellvertretende Leiterin des Kindergartens. Sie freut sich auch über die guten Kontakte zu Unternehmen. Von 1999 bis 2003 habe es eine Patenschaft des Hela-Supermarktes gegeben, nun gebe es eine Kooperation mit den „Römer-Betrieben.“ Simone Lehnertz: „Das Unternehmen unterstützt uns mit Spenden. Wir beziehen unser Essen von dort oder übernehmen die Kinderbetreuung, wenn dort ein Fest ist. Und natürlich besuchen unsere Kinder den Betrieb und können sich mal ein Bild von der Arbeitswelt machen.“

FAMILIE BRINGT GEWINN
Für den DIHK liegt es auf der Hand, dass Kommunen mit familienfreundlicher Infrastruktur im Standortwettbewerb die Nase vorn haben. Das sieht auch Bundeswirtschaftsministerin Renate Schmidt so: „Familie bringt Gewinn. Wer heute in gute, flexible und verlässliche Betreuung investiert, ist klar im Vorteil.“
Dass dieser „Gewinn“ nicht nur emotionaler Natur ist, geht aus einem Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. Der Ausbau von Kinderbetreuung bringe positive Einnahmeeffekte mit sich. Etwa 70 Prozent aller Mütter mit Kindern bis zu zwölf Jahren wünschten sich einen Einstieg oder Wiedereinstieg ins Berufsleben. Dazu das Institut: „ Wenn alle Mütter mit Erwerbswunsch in einem Beschäftigungsverhältnis stünden, ergäben sich rechnerisch steuerliche Mehreinnahmen von bis zu 6 Milliarden € jährlich.“ Kommunen würden von Sozialhilfeausgaben von bis zu 1,5 Milliarden € entlastet, zudem gebe es Einsparungen in der Arbeitslosen-Versicherung.
Ingrid Fusenig

Forderungen der IHK-Organisation

• Kinderbetreuung mit Erwerbstätigkeit vereinbaren – Schließzeiten über Mittag sind von den Kommunen generell abzuschaffen, da sie mit den meisten Formen der Erwerbstätigkeit nicht vereinbar sind.
• Kinderbetreuung an Erwerbsrealitäten anpassen – Etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen arbeitet am Wochenende und/oder in Schichtdiensten. Der Gesetzgeber (Land, Kommune, Kreis) muss die Kitas in die Lage versetzen, auf solche Anforderungen reagieren zu können und gegebenenfalls Samstagsöffnung oder späte Öffnungszeiten bei Bedarf anzubieten. Die Arbeits- und Urlaubszeiten dürfen nicht durch die Öffnungszeiten der Kitas diktiert werden. Deswegen müssen flexiblere Öffnungszeiten möglich und Alternativen während längerer Schließzeiten verpflichtend angeboten werden.
• Netzwerke ausbauen – Nicht für jede Situation können einzelne Kitas Lösungen anbieten. Deshalb müssen trägerübergreifende Kooperationen und Netzwerke noch intensiver ausgebaut werden, damit Eltern und Unternehmen mit dem Anpassungsdruck nicht alleine gelassen werden. Dazu gehören auch ergänzende Angebote familiennaher Dienstleistungen wie zum Beispiel. Tagespflege, die nicht nur bei fehlenden Belegplätzen, sondern auch in speziellen Konstellationen die Betreuungsinfrastruktur vervollständigen würden.
• Flexibilität ermöglichen – Individuell vereinbarte Betreuungszeiten und Abrechnung müssen Standard werden, damit Kinderbetreuung besonders auch für Teilzeitbeschäftigte passgenau ist und bezahlbar bleibt. Hier sind die Kommunen gefordert, mehr Freiräume einzurichten.
• Kinder auf die Schule vorbereiten – Deutsch muss von allen Kindern fließend gesprochen werden, damit ein erfolgreicher Schulbesuch möglich wird. Deswegen sollte im fünften Lebensjahr ein Kita- beziehungsweise Kindergartenbesuch verpflichtend und für die Eltern kostenfrei sein.
Staatliche Bereitstellung und Bürokratie in der Kinderbetreuung einerseits und Unternehmen im Wettbewerb mit flexiblen Arbeitnehmern andererseits passen häufig nicht zusammen. Gleichzeitig ist gute Kinderbetreuung ein wichtiger Zukunftsfaktor. Deutschland sollte sich das Ziel setzen, bis 2015 das familienfreundlichste Land Europas zu werden. Wer heute in dieser Vision investiert, ist klar im Vorteil: Familienfreundliche Unternehmen entscheiden den Wettstreit um die besten Köpfe für sich; Kommunen mit familienfreundlicher Infrastruktur haben im Standortwettbewerb die Nase vorn.

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