12.07.2002
Vorgesetzte bewegen Dinge, Führungskräfte Menschen
Dieser Text ist vom 12.07.2002 und könnte inhaltlich veraltet sein.
Moderne Personalführung
„Ich bin Vorgesetzter, also führe ich!“ Das war einmal. In
der modernen Arbeitswelt ändert sich auch das Verständnis der
Chef-Rolle. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird neues
Denken verlangt, Selbstständigkeit, Kreativität, Flexibilität.
Wer diese Forderungen erfüllt und verinnerlicht, sieht auch
seinen Vorgesetzten mit anderen Augen. Ob er Führungskraft ist
bzw. wer diese Funktion übernimmt, definieren immer mehr die
Geführten selbst. Für den Vorgesetzten heißt das: Er muss seine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch von seinen
Führungsqualitäten überzeugen. Dazu gehört zunächst, selbst das
zu tun, was er auch von seinem Team verlangt: über seine Position
nachdenken.
Der Vorgesetzte ist zunehmend weniger automatisch Führungskraft, wie es die erste Theorie der Führungsforschung implizierte („Führungskraft ist, wer eine bestimmte Anzahl von formalen Eigenschaften erfüllt“). Diese Theorie kann angesichts der heutigen Rahmenbedingungen der Arbeitswelt als eindeutig widerlegt gelten: „Führung heißt, andere durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so zu beeinflussen, dass dies bei den Beeinflussten mittelbar oder unmittelbar ein intendiertes Verhalten bewirkt,“ definiert das Standardwerk „Personalführung“ (Jürgen Weibler, Vahlen-Verlag).
Führung ist eine Wechselbeziehung zwischen Führendem und Geführten, ein Geflecht aus Einstellungen und Erwartungen an die und den jeweils anderen und an sich selbst. Die Beziehung Vorgesetzter - Mitarbeiter bildet hierfür die formelle Struktur. Ob sie eine leere Hülle bleibt oder stabilisierendes Gerüst wird, hängt von vielen Umständen und allen Beteiligten ab.
Erwartungen bestimmen Verhalten und Leistung
Das Verhalten der Mitarbeiter gegenüber dem Vorgesetzten und seinen Anweisungen und Wünschen orientiert sich daran, wie er ihren Erwartungen entspricht. Kann er sie von seiner (auch gegenteiligen) Meinung überzeugen? Dies erhöht ihre Bereitschaft, ihm zu folgen, ganz erheblich. Ihre Arbeitszufriedenheit steigt und mit ihr Motivation und Einsatzbereitschaft, die ganz wesentlich sind für das Verhalten. Und mit großer Wahrscheinlichkeit steigt damit ihre Leistung.
Diese ist natürlich auch von weiteren Faktoren abhängig: von den Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von den Normen der Unternehmenskultur und von der Infrastruktur, die dem Vorgesetzten zur Führung seines Bereichs zur Verfügung stehen.
Die Normen – das soziale Dürfen und Wollen – unterscheiden sich von Organisation zu Organisation, von Bereich zu Bereich. So wird in der einen Organisation die „positive Bereitschaft über den Arbeitstag hinaus“ – beispielsweise freiwillige Arbeit am Abend – gern gesehen, in anderen nicht. Zum Teil sind die Normen festgeschrieben, zum Teil auch nur in den Köpfen vorhanden. Gleiches gilt auch für Führungsgrundsätze. Beispielsweise gehört ein Personalentwicklungskonzept zu der Infrastruktur, die Vorgesetzten ihre Aufgabenerfüllung erst ermöglicht. Sie müssen aber auch die Möglichkeit haben, flexibel auf plötzlich auftauchende Probleme oder veränderte Rahmenbedingungen reagieren zu können.
Wichtigster Faktor für den Vorgesetzten bei der Erfüllung seiner Führungsaufgaben ist er selbst. Die Vorgesetztenposition bezieht sich auf die Definition von Zielen, die Verteilung von Aufgaben etc. Bestimmte Instrumente wie die Anweisungsbefugnis ermöglichen seine Machtausübung erst.
Um nicht nur als Vorgesetzter, sondern auch als Führer eingestuft zu werden, muss mehr hinzutreten. Dessen Stärke beruht letztendlich auf Kommunikation, Überzeugungskraft und anderen sozialen Kompetenzen. Diese informellen Funktionen sind auch für den Zusammenhalt der Gruppe wichtig: Wer für eine positive Stimmung sorgt, Probleme erkennt, zwischen unterschiedlichen Meinungen vermittelt usw. wird gleichzeitig zum emotionalen Führer. Während der Vorgesetzte Dinge bewegt, bewegt die Führungskraft die Menschen.
Ist der Vorgesetzte keine Führungskraft, entsteht ein Vakuum. Die „führungslosen“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verunsichert und suchen sich eine neue informelle Führung. Unter Umständen hat also nicht der Vorgesetzte die Führungsleinen in den Händen, sondern ein Mitarbeiter, dem die Kolleginnen und Kollegen die Fähigkeiten und Verhaltensweisen zuschreiben, die sie bei dem Vorgesetzten vermissen. Dies kann sowohl Fachwissen als auch soziale Kompetenz sein, im kritischsten Fall beides.
Moderne Führungsinstrumente
Sinnvoll ist es also auf jeden Fall, wenn der Vorgesetzte sich früh und regelmäßig selbst vergewissert: „Wo stehe ich als Führungskraft in meinem Bereich?“ Ein sinnvolles Instrument hierfür ist das Vorgesetzten-Feedback. Hierbei beurteilen die Mitarbeiter systematisiert nach Kategorien und natürlich anonym ihren Chef. So kann er erfahren, welche Erwartungen an ihn gestellt werden. Den gleichen Zweck können auch intensive Gespräche erfüllen, wenn man die leisen Zwischentöne oder das nicht Gesagte richtig interpretieren kann (Welcher Mitarbeiter sagt seinem Vorgesetzten offen, was er wirklich von ihm hält?). Aus diesen Informationen kann der Vorgesetzte eine persönliche Bilanz und seine Schlüsse ziehen.
Nun kann es aber auch sein, dass der Vorgesetzte als Führungskraft durchaus kompetent ist, er jedoch Probleme hat, dies seinen Mitarbeiter kommunikativ klar zu machen. Dies ist häufig der Fall, wenn jemand eine gänzlich neue Führungsaufgabe übernimmt oder in ein Unternehmen mit einer ihm fremden Kultur eintritt – man muss sich erst aneinander gewöhnen. Schwer ist es auch, die Leitung eines großen Teams zu übernehmen.
Wie in der fachlichen Arbeit gilt aber auch bei der Führungsaufgabe: Man muss nicht alles selbst machen. In erster Linie kommt es darauf an, dass etwas getan wird, und das richtig. Das gilt auch, wenn es um die emotionale Führung des Teams geht. Eine formale Übertragung der Führungsfunktion steht natürlich nicht zur Debatte, also muss der Vorgesetzte wissen, welches Teammitglied als informeller Führer akzeptiert ist. Diesen Mitarbeiter sollte er nicht als Gegner oder Konkurrenten ansehen, sondern für sich zu gewinnen versuchen: Kontakt aufnehmen, Probleme diskutieren, Entscheidungen transparent machen. Von ihm kann man erfahren, wo Sand im Getriebe ist, über ihn kann man Informationen weitergeben. Und das Team weiß, wer seine Interessen und Bedürfnisse beim Chef – an den man sich vielleicht selbst gar nicht so gerne wenden möchte – vertritt. Damit zeigt der Vorgesetzte, dass er das Team und dessen Strukturen respektiert.
Dank, Respekt und Anerkennung sind die wichtigsten Faktoren, um andere zu motivieren. In der Regel habe sie viel größere Wirkung als Anreizsysteme nach dem Muster „Mehr Geld – mehr Leistung“. Diese sind häufig überbewertet, oft sogar kontraproduktiv. Vor allem bei intrinsisch motivierter Arbeit besteht die Gefahr, dass die materiellen Vorteile die Motivation verdrängen. Und der Beschäftigte sieht sich durch die materiellen Vorteile nicht nur informiert und anerkannt, sondern fühlt sich auch leicht kontrolliert.
Dabei ist Kontrolle an sich kein Problem, wenn der Mitarbeiter bei der Definition seiner Arbeitsziele selbst mitgewirkt hat. Dies zeigt auch, dass seine Kompetenzen anerkannt werden. Das Gleiche gilt für die Delegation von Aufgaben. Vorgesetzter zu sein bedeutet ja nicht, jedes Detail der Arbeit seiner Mitarbeiter zu kennen, jede Schraube selbst eindrehen zu müssen. Eine Führungskraft zeichnet es aus, zu wissen, welcher Mitarbeiter die Schraube am besten eindreht. Er muss die Bedeutung des Details für das Gesamte erkennen.
Andererseits: Wenn die Mitarbeiter Freiheiten bei der Arbeit haben, müssen sie auch bereit sein, die Verantwortung hierfür zu tragen und Rechenschaft abzulegen. Zu Dank, Respekt und Anerkennung gehört auch die Kritik. Nur konstruktiv muss sie sein. Wenn dies durch den Vorgesetzten, der als wirkliche Führungskraft als Teil des Teams anerkannt ist, geschieht, dürfte dies viel weniger ein Problem sein, als wenn man widerwillig zum Chef zitiert wird.
Gerd Dapprich
Der Vorgesetzte ist zunehmend weniger automatisch Führungskraft, wie es die erste Theorie der Führungsforschung implizierte („Führungskraft ist, wer eine bestimmte Anzahl von formalen Eigenschaften erfüllt“). Diese Theorie kann angesichts der heutigen Rahmenbedingungen der Arbeitswelt als eindeutig widerlegt gelten: „Führung heißt, andere durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so zu beeinflussen, dass dies bei den Beeinflussten mittelbar oder unmittelbar ein intendiertes Verhalten bewirkt,“ definiert das Standardwerk „Personalführung“ (Jürgen Weibler, Vahlen-Verlag).
Führung ist eine Wechselbeziehung zwischen Führendem und Geführten, ein Geflecht aus Einstellungen und Erwartungen an die und den jeweils anderen und an sich selbst. Die Beziehung Vorgesetzter - Mitarbeiter bildet hierfür die formelle Struktur. Ob sie eine leere Hülle bleibt oder stabilisierendes Gerüst wird, hängt von vielen Umständen und allen Beteiligten ab.
Erwartungen bestimmen Verhalten und Leistung
Das Verhalten der Mitarbeiter gegenüber dem Vorgesetzten und seinen Anweisungen und Wünschen orientiert sich daran, wie er ihren Erwartungen entspricht. Kann er sie von seiner (auch gegenteiligen) Meinung überzeugen? Dies erhöht ihre Bereitschaft, ihm zu folgen, ganz erheblich. Ihre Arbeitszufriedenheit steigt und mit ihr Motivation und Einsatzbereitschaft, die ganz wesentlich sind für das Verhalten. Und mit großer Wahrscheinlichkeit steigt damit ihre Leistung.
Diese ist natürlich auch von weiteren Faktoren abhängig: von den Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von den Normen der Unternehmenskultur und von der Infrastruktur, die dem Vorgesetzten zur Führung seines Bereichs zur Verfügung stehen.
Die Normen – das soziale Dürfen und Wollen – unterscheiden sich von Organisation zu Organisation, von Bereich zu Bereich. So wird in der einen Organisation die „positive Bereitschaft über den Arbeitstag hinaus“ – beispielsweise freiwillige Arbeit am Abend – gern gesehen, in anderen nicht. Zum Teil sind die Normen festgeschrieben, zum Teil auch nur in den Köpfen vorhanden. Gleiches gilt auch für Führungsgrundsätze. Beispielsweise gehört ein Personalentwicklungskonzept zu der Infrastruktur, die Vorgesetzten ihre Aufgabenerfüllung erst ermöglicht. Sie müssen aber auch die Möglichkeit haben, flexibel auf plötzlich auftauchende Probleme oder veränderte Rahmenbedingungen reagieren zu können.
Wichtigster Faktor für den Vorgesetzten bei der Erfüllung seiner Führungsaufgaben ist er selbst. Die Vorgesetztenposition bezieht sich auf die Definition von Zielen, die Verteilung von Aufgaben etc. Bestimmte Instrumente wie die Anweisungsbefugnis ermöglichen seine Machtausübung erst.
Um nicht nur als Vorgesetzter, sondern auch als Führer eingestuft zu werden, muss mehr hinzutreten. Dessen Stärke beruht letztendlich auf Kommunikation, Überzeugungskraft und anderen sozialen Kompetenzen. Diese informellen Funktionen sind auch für den Zusammenhalt der Gruppe wichtig: Wer für eine positive Stimmung sorgt, Probleme erkennt, zwischen unterschiedlichen Meinungen vermittelt usw. wird gleichzeitig zum emotionalen Führer. Während der Vorgesetzte Dinge bewegt, bewegt die Führungskraft die Menschen.
Ist der Vorgesetzte keine Führungskraft, entsteht ein Vakuum. Die „führungslosen“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verunsichert und suchen sich eine neue informelle Führung. Unter Umständen hat also nicht der Vorgesetzte die Führungsleinen in den Händen, sondern ein Mitarbeiter, dem die Kolleginnen und Kollegen die Fähigkeiten und Verhaltensweisen zuschreiben, die sie bei dem Vorgesetzten vermissen. Dies kann sowohl Fachwissen als auch soziale Kompetenz sein, im kritischsten Fall beides.
Moderne Führungsinstrumente
Sinnvoll ist es also auf jeden Fall, wenn der Vorgesetzte sich früh und regelmäßig selbst vergewissert: „Wo stehe ich als Führungskraft in meinem Bereich?“ Ein sinnvolles Instrument hierfür ist das Vorgesetzten-Feedback. Hierbei beurteilen die Mitarbeiter systematisiert nach Kategorien und natürlich anonym ihren Chef. So kann er erfahren, welche Erwartungen an ihn gestellt werden. Den gleichen Zweck können auch intensive Gespräche erfüllen, wenn man die leisen Zwischentöne oder das nicht Gesagte richtig interpretieren kann (Welcher Mitarbeiter sagt seinem Vorgesetzten offen, was er wirklich von ihm hält?). Aus diesen Informationen kann der Vorgesetzte eine persönliche Bilanz und seine Schlüsse ziehen.
Nun kann es aber auch sein, dass der Vorgesetzte als Führungskraft durchaus kompetent ist, er jedoch Probleme hat, dies seinen Mitarbeiter kommunikativ klar zu machen. Dies ist häufig der Fall, wenn jemand eine gänzlich neue Führungsaufgabe übernimmt oder in ein Unternehmen mit einer ihm fremden Kultur eintritt – man muss sich erst aneinander gewöhnen. Schwer ist es auch, die Leitung eines großen Teams zu übernehmen.
Wie in der fachlichen Arbeit gilt aber auch bei der Führungsaufgabe: Man muss nicht alles selbst machen. In erster Linie kommt es darauf an, dass etwas getan wird, und das richtig. Das gilt auch, wenn es um die emotionale Führung des Teams geht. Eine formale Übertragung der Führungsfunktion steht natürlich nicht zur Debatte, also muss der Vorgesetzte wissen, welches Teammitglied als informeller Führer akzeptiert ist. Diesen Mitarbeiter sollte er nicht als Gegner oder Konkurrenten ansehen, sondern für sich zu gewinnen versuchen: Kontakt aufnehmen, Probleme diskutieren, Entscheidungen transparent machen. Von ihm kann man erfahren, wo Sand im Getriebe ist, über ihn kann man Informationen weitergeben. Und das Team weiß, wer seine Interessen und Bedürfnisse beim Chef – an den man sich vielleicht selbst gar nicht so gerne wenden möchte – vertritt. Damit zeigt der Vorgesetzte, dass er das Team und dessen Strukturen respektiert.
Dank, Respekt und Anerkennung sind die wichtigsten Faktoren, um andere zu motivieren. In der Regel habe sie viel größere Wirkung als Anreizsysteme nach dem Muster „Mehr Geld – mehr Leistung“. Diese sind häufig überbewertet, oft sogar kontraproduktiv. Vor allem bei intrinsisch motivierter Arbeit besteht die Gefahr, dass die materiellen Vorteile die Motivation verdrängen. Und der Beschäftigte sieht sich durch die materiellen Vorteile nicht nur informiert und anerkannt, sondern fühlt sich auch leicht kontrolliert.
Dabei ist Kontrolle an sich kein Problem, wenn der Mitarbeiter bei der Definition seiner Arbeitsziele selbst mitgewirkt hat. Dies zeigt auch, dass seine Kompetenzen anerkannt werden. Das Gleiche gilt für die Delegation von Aufgaben. Vorgesetzter zu sein bedeutet ja nicht, jedes Detail der Arbeit seiner Mitarbeiter zu kennen, jede Schraube selbst eindrehen zu müssen. Eine Führungskraft zeichnet es aus, zu wissen, welcher Mitarbeiter die Schraube am besten eindreht. Er muss die Bedeutung des Details für das Gesamte erkennen.
Andererseits: Wenn die Mitarbeiter Freiheiten bei der Arbeit haben, müssen sie auch bereit sein, die Verantwortung hierfür zu tragen und Rechenschaft abzulegen. Zu Dank, Respekt und Anerkennung gehört auch die Kritik. Nur konstruktiv muss sie sein. Wenn dies durch den Vorgesetzten, der als wirkliche Führungskraft als Teil des Teams anerkannt ist, geschieht, dürfte dies viel weniger ein Problem sein, als wenn man widerwillig zum Chef zitiert wird.
Gerd Dapprich