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01.06.2011

„Wirtschaftspolitik muss die Belange aller berücksichtigen“


Dieser Text ist vom 01.06.2011 und könnte inhaltlich veraltet sein.

Das aktuelle Interview

Die neue rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke skizziert im Gespräch mit „Blickpunkt Wirtschaft“ die Grundzüge der künftigen Politik für Mittelstand und Industrie. Kern einer sozialökologischen Ausrichtung ist es laut Lemke, die ungenutzten Potenziale der Regionen zu stärken.

Welche Stärken hat die Region Trier aus Ihrer Sicht?

Lemke: Die einzelnen Regionen in Rheinland-Pfalz sind in vielen Bereichen sehr unterschiedlich aufgestellt. Sie haben alle ihre spezifischen Stärken, die weiter ausgebaut werden können. Ich möchte den Blick auch auf das lenken, was bereits angelegt ist, aber noch Entwicklungspotenzial hat. Dass die Region Trier beispielsweise mit der Energielandschaft Morbach oder der hohen Dichte an Biogasanlagen im Eifelkreis Bitburg-Prüm eine Vorreiterrolle bei den erneuerbaren Energien einnimmt, ist klar. Potenzial sehe ich vor allem darin, dass die Region auf Grund ihrer Lage ein Dreh- und Angelpunkt für den Verkehr ist. Die logistische Infrastruktur muss optimiert werden, vor allem an den Schnittstellen von Schiene, Schifffahrt und Straße, so dass mehr Güter ressourcenschonender als bislang transportiert werden können.

Wie wird sich die Energiewende in der Region Trier auswirken?

Lemke: Wie gesagt, die Ausgangslage in der Region ist vergleichsweise sehr gut. Die Unternehmen können auf effiziente Technologien zurückgreifen. Wir werden aber die bereits vorhandene Beratung für die Betriebe verfeinern, konkretisieren und schneller machen. In jedem Landkreis wird eine Energieberatungsstelle eingerichtet, die auch dazu beiträgt, regionale Energienetzwerke der Unternehmen aufzubauen. Es kommt darauf an, die mittelständischen Akteure miteinander zu verbinden, damit sie voneinander profitieren und von den Großkonzernen der Energiewirtschaft unabhängiger werden können. Das geht nicht ohne Koordination.

Wie sollen die Standortbedingungen für die Industrie in der Region verbessert werden?

Lemke: Prinzipiell geht in der sozialökologischen Wirtschaftspolitik, die wir nun auf den Weg bringen, Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Das heißt, Bestandspflege kommt vor Expansion. Bevor etwas Neues aus dem Boden gestampft wird, sollte der Ist-Zustand gut sein. Doch beispielsweise der Fachkräftemangel zeigt, dass er es eben nicht ist. Auch hier setzen wir auf intelligente Netzwerke, um das zu ändern. Es wird eine Fachkräfteoffensive unter Beteiligung aller Akteure geben. Die Verknüpfung sämtlicher Schulformen mit der Wirtschaft muss intensiver werden. Das erfordert aber auch ein Umdenken bei den Unternehmen selbst, die sich anders um Nachwuchs bemühen müssen als bisher. Das Beispiel der Fuhrländer AG, einem Windenergieunternehmen aus dem Westerwald, illustriert, was ich meine: Dort gibt es innovative Wohnmodelle, wenn die Azubis das Unternehmen nicht per ÖPNV erreichen können, es gibt bedarfsgerechten Einzelunterricht, Workshops zum Umgang mit Prüfungssituationen oder Kooperationsprojekte zur Stärkung der Teamfähigkeit. Was dort mit 160 Auszubildenden geschieht, kann in einem Betriebsnetzwerk auch von Unternehmen geleistet werden, die nur wenige Ausbildungsplätze haben.

Welche Bedeutung hat für Sie eine moderne Verkehrsinfrastruktur für eine wachsende Wirtschaft?

Lemke Lemke: Da muss erst einmal definiert werden, was modern heißt und was Wachstum heißt. Modern aus sozialökologischer Sicht sind alternative Antriebssysteme, deren Entwicklung einen Innovationsschub für die Wirtschaft bedeutet, und modern ist der intelligente und flexible Mix der verschiedenen Verkehrsträger. Eine entsprechende Infrastruktur muss ausgebaut werden – wozu gehört, dass der Pflege bereits existierender Straßen eindeutig die Priorität zukommt im Vergleich zum Neubau. Das ist in Zeiten eng begrenzter Budgets auch gar nicht anders machbar, sonst reißen wir Löcher in das bestehende Netz, von Modernität ganz zu schweigen. Auch Wachstum ist in einer wirklich modernen Gesellschaft nicht allein über steigende Umsatzzahlen und damit viel zu eng definiert. Die qualitative Dimension muss mit eingerechnet werden. Dann geht es zusätzlich zu den rein betriebswirtschaftlichen  Kennziffern auch um Aspekte wie Fairness und Nachhaltigkeit. Schließlich muss Wirtschaftspolitik die Belange aller berücksichtigen, keiner darf vergessen werden. Dafür stehe ich nicht nur als Wirtschaftsministerin, sondern auch als stellvertretende Ministerpräsidentin. Ich sehe Unternehmer auch keinesfalls als „bad guys“, gegen die ich als Grüne angehen müsste. Im Gegenteil, bei ihnen arbeiten die Menschen, und das ist schließlich der Kern unserer Gesellschaft.

Kann die wirtschaftliche Selbstverwaltung Aufgaben des Staates wie etwa den Einheitlichen Ansprechpartner übernehmen, um die öffentliche Hand zu entlasten?

Lemke: Ich höre immer wieder aus Unternehmerkreisen, dass eine Reform des Kammersystems notwendig sei. Beispielsweise die räumliche Struktur der Kammern sei den modernen Unternehmensverflechtungen nicht angemessen. Solche Veränderungen zu initiieren ist jedoch nicht Sache des Ministeriums. Angesichts der Tatsache, dass die Kammern schon rund die Hälfte öffentlich-rechtlicher Aufgaben übernehmen, sehe ich wenig Spielraum, das noch auszuweiten. Eine dezidierte Analyse könnte auch umgekehrt ergeben, dass das Land die Kammern von bestimmten Aufgaben entlasten sollte, um Doppelstrukturen zu vermeiden.

Welche Schwerpunkte werden Sie im Bereich der Wirtschaftsförderung für kleine und mittelständische Betriebe setzen?

Lemke: Wie schon gesagt, die Ressourceneffizienz und der damit verbundene technologische Innovationsschub wird an Bedeutung zunehmen. Aber es geht uns mit dem Begriff der „guten Arbeit“ ebenso um Chancengleichheit, um flexible Arbeitszeiten, um Gesundheit und um andere soziale Aspekte. Potenziale gibt es auch in den Bereichen Unternehmensgründung und –nachfolge, denn dort sind die Mittel der entsprechenden europäischen Fördertöpfe noch nicht voll ausgeschöpft.

Trotz guter Konjunktur liegt die Wirtschaftskraft, gemessen am BIP pro Erwerbstätigem, von Rheinland-Pfalz recht deutlich unter dem Durchschnitt der alten Bundesländer. Mit welchen wirtschaftspolitischen Maßnahmen werden Sie diese Lücke schließen?

Lemke: Angesichts der Probleme der Globalisierung, zu denen auch die Schuldenkrise wesentlich zählt, erarbeiten Wissenschaftler aus aller Welt und aus verschiedenen Disziplinen ein realistischeres und umfassenderes Modell des Brutto-Inlandsproduktes: beispielsweise das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Es ist längst international anerkannt,  dass die herkömmliche BIP-Definition allein über den Wert von Waren und Dienstleistungen ersetzt werden muss. Denn sie kalkuliert auch Schäden und Negativfaktoren als „Wert“ ein, lässt aber im Gegenzug den großen Bereich gesellschaftlich notwendiger Leistungen und Qualitätsmerkmale außen vor, die beispielsweise auf Subsistenzwirtschaft beruhen. In fünf Jahren wird sich zeigen, dass Rheinland-Pfalz im Ranking deutlich nach vorn gerutscht ist – erst recht, wenn man ein sozialökologisches BIP zu Grunde legt. Aber die Impulse, die von der Fachkräfteoffensive und von den Innovationen im Energie- und Infrastrukturbereich ausgehen, werden auch nach herkömmlicher Lesart für eine bessere Position sorgen.

Je kleiner ein Unternehmen, desto höher ist die relative Bürokratiebelastung. Wo wollen Sie Bürokratie abbauen, um den Mittelstand wirksam zu entlasten?

Lemke: Es ist klar, dass Raumplanung – die in mein Ressort gehört – schnellere Sicherheit für Investitionen bieten muss. Allerdings gehen die meisten Vorschriften von der EU und der Bundesebene aus und nicht von einem Landesministerium. Sukzessive sollten alle Regelungen auf den Prüfstand, aber der Bürokratieabbau ist sicher ein kontinuierlicher Prozess, der langen Atem erfordert.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, in Rheinland-Pfalz weiterhin durch Landesplanung und Raumordnung innenstadtorientierte Einzelhandelsansiedlungsmuster zu unterstützen?

Lemke: Auch hier vertrete ich die Devise Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Ansiedlungen auf der „grünen Wiese“ erscheinen vor diesem Hintergrund wenig sinnvoll. Aber die Stadtplanungen müssen auch entsprechend funktionieren. Es darf nicht ständig zielabweichende Ausnahmegenehmigungen geben, die dann doch dazu führen, dass Zentren in der Peripherie entstehen, welche den Innenstädten das Wasser abgraben.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die finanziellen Rahmenbedingungen für den Tourismus zu sichern und die touristische Infrastruktur weiter auszubauen?

Lemke: Die bisherige Tourismusstrategie 2015 mit den Eckpfeilern Wandern, Radwandern, Gesundheit und Wein bleibt erhalten und sichert den Planungshorizont für die betroffenen Unternehmen. Die Struktur der Förderung bleibt ebenfalls so, wie sie ist. Es kann lediglich sein, dass einzelne Fördermaßnahmen aus den bekannten Ersparnisgründen etwas weniger umfassend ausfallen. Mit Synergieeffekten durch eine bessere Vernetzung der lokalen Akteure ist das aber auch wieder ausgleichbar. Schließlich ist es eher verwirrend als nützlich, wenn potenzielle Gäste mit einer Flut von Werbematerial überhäuft werden. Da ist noch etwas zu tun in Richtung touristischer Markenbildung für Rheinland-Pfalz und seine Teilregionen.

Das Interview führte Angelika Koch

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